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  • FC Stahl Brandenburg, 22. Juni 2008

     

    „Schnell habe ich mich für den Verein meiner Heimatstadt entschieden“


    Von:  Stephan R.T.

    Torsten Gränzer, in unserem Forum als ‚Torsten’ bekannt, hat 1984 sein Herz an den FC Stahl Brandenburg verloren. Damals stieg sein Heimatverein in die DDR-Oberliga auf und trat einige Jahre später im UEFA-Pokal gegen den Coleraine FC und den IFK Göteborg an. Nach der aktuellen Ligareform spielt der FC Stahl ab der kommenden Saison nur noch in der siebenten Liga. Doch Torsten will weiterhin zu seinem Verein stehen und hofft darauf, dass schon bald die Rückkehr in höhere Gefilden – zumindest bis in die Oberliga – gelingt. Mehr über ihn gibt es im Folgenden zu lesen.

    Torsten, wie ist Deine Leidenschaft für den Fußball entstanden und wer hat Dich eigentlich zum Fußball gebracht?

    Nun, das muss so 1982 gewesen sein. Wir lebten als Großfamilie in einer Sechs-Zimmer-Wohnung und Onkelchen saß, wie immer, biersaufend, rülpsend und zehnägelpuhlend auf dem Kanapee. Zufällig war gerade WM in Spanien und aus Mutters Anett-Kassetten-Radio-Recorder dudelte ununterbrochen Michael Schanzes ‚Olé Espana’. Ich war von dem Song unendlich begeistert, weil der so gleich ins Ohr, ins Gehirn und in die Arschbacken ging. Dann schaute ich auch gleich einige Spiele, ohne zu wissen, worum es eigentlich ging. Ich war aber auch von diesen Menschenmassen begeistert, die so völlig ausflippen konnten, wenn das Stück Leder ins Netz ging. Und die so unendlich heulen konnten, wenn ihre Mannschaft rausflog. Das waren Emotionen pur, das hatte etwas. Dann habe ich immer vorm Fernseher gesessen, wenn Achim Streich spielte, egal ob Nationalelf oder Club. Die Folge: Ich nähte mir, logo, das Emblem des 1. FCM auf meine Steppke-Jeansjacke. Naja, genauer betrachtet nähte es Großmutter drauf, weil meine Kreuzstiche im fakultativen Unterricht Nadelarbeit eher wie die Beulenpest aussahen. Und mit Kreuzstichen wird das ja ohnehin nicht genäht und Großmutters Veritas-Nähgerät war auch einfach schneller... Naja, und auf dem Schulhof dann konnte ich zusammen mit nem Kumpel immer schön ne große Fresse haben, bis, ja bis...

    Für welchen Verein schlägt Dein Herz und warum - was verbindet Dich mit Deinem Verein, wie und wann wurdest Du Fan? Und welche Erinnerung hast Du noch von den ersten Spielen, was war das für Dich damals für ein Erlebnis?

    ...dann 1984 Stahl Brandenburg aufstieg. Das erste Spiel sah ich dann 1985 gegen den BFC Dynamo. Mein Herz war hin und her gerissen, aber ich besuchte die Stahl-Heimspiele von nun an regelmäßig. Von dort an will ich mich dann auch als Fan bezeichnen. Schnell war ein Schal bestickt und ich stand mitten drin im Pöbel, als 13-jähriger Scheißer und war begeistert von Stimmung, Liedgut und Ausfallerscheinungen mancher Fans...

    Schnell habe ich mich dann für den Verein meiner Heimatstadt entschieden. Mittlerweile liebe ich diesen Verein seit 23 Jahren und das ist es auch, was mich mit ihm verbindet. Ich habe unzählige Spiele erlebt, die größten und auch die bittersten. Einige Zeit habe ich für den Verein gearbeitet und auch heute noch bin ich, wenn die Zeit es zulässt, mit dabei. Ich kenne Spieler, Fans und Funktionäre persönlich und es wird in mir nie Platz für einen anderen Verein geben. Sympathien sicherlich, aber nichts mehr...

    Und auch wenn ich manchmal auf dem Standpunkt stehe: „Mann, das ist doch nur Fußball, was regste Dich auf!?!?“, merke ich, dass ein Gegentor in der letzten Minute in einem vielleicht wichtigen Relegationsspiel wie heute gegen Eisenhüttenstadt (Anm.d.Red.: Endstand 2:2) immer noch verdammt weh tut. Einmal fußballbekloppt, immer fußballbekloppt, einmal Stahl, immer Stahl... Derzeit schreibe ich an einem Roman, welcher in den 80er Jahren spielt, mit vielen autobiographischen Details rund um die Fanszene des FC Stahl. Dort wird dann sicher noch einiges mehr zu erfahren sein. Ich hoffe, ihn im nächsten Jahr endlich veröffentlichen zu können und dass es diese Seite dann noch gibt und der Stephan mir ein paar Exemplare abnimmt...

    Wie zufrieden bist Du mit der aktuellen Leistung Deines Vereins, was lief in dieser Saison gut, was hätte besser klappen können?

    Über den dritten Platz in der Landesliga mit einer relativ jungen Mannschaft sollte man eigentlich zufrieden sein. Aber: Ich bin vielleicht zu sehr Fan. Bei etwas mehr Konstanz wäre sicher auch der Aufstieg drinnen gewesen, auch wenn wir in diesem Jahr wenigstens einen nahezu übermächtigen Konkurrenten hatten...

    Wie soll es in der nächsten Saison weitergehen, was erwartest Du von Deinem Verein und in welchen Bereichen sollte es besser laufen?

    In der nächsten Saison haben wir uns hoffentlich sinnvoll verstärkt. Dann sollte es auch aufwärts gehen. Ziel kann nur der Aufstieg sein. Sollten wir jetzt, wider Erwartens in der Relegation doch noch aufsteigen (Anm.d.Red.: das Rückspiel ging an diesem Wochenende klar mit 0:4 verloren und so ging der EFC Stahl als Sieger der Relegation hervor), dann hoffe ich, in der Verbandsliga im gesicherten Mittelfeld dabei zu sein. Als Realist wäre eine Saison in der Landesliga sicher sinnvoll, um die Mannschaft reifen zu lassen, als Fan sähe ich sie am liebsten in drei Jahren mindestens in der Oberliga, wenn nicht sogar in der Regionalliga. Aber das ist Zukunftsmusik. Zuerst muss im Verein und im Umfeld gut gearbeitet werden. Aber da sehe ich uns auf einem guten Weg. Es gibt viele Baustellen, Kommunikation muss aufgebaut, persönliche Eitelkeiten müssen abgebaut werden. Dann sind wir auf einem guten Weg. Ansätze sind auf jeden Fall erkennbar...

    Wichtig ist auch in jedem Falle die Jugendarbeit, die Pressearbeit und die bisher in der Landesliga beispiellose Unterstützung der Fans.


    Torsten überreicht einen Schal seiner Band ‚Fauxpas’ und seines Vereins an einen geistig behinderten Fan.

    Was waren die schönsten und welches die schlimmsten Erlebnisse mit Deinem Verein und anderen Fans?

    Es gab so viele und wieder würde ich meinem Buch vorausgreifen... Zu den schönsten Ereignissen gehörte sicherlich der Tag, an dem im Rahmen eines Stadionfestes das Lied ‚Stahl Feuer’ veröffentlicht wurde, welches ich mit meiner Band ‚Fauxpas’ 2003 aufgenommen hatte. Wir standen im Inneraum des Stadions, der Präsident überreichte uns extra angefertigte Trikots. Als dann das Lied eingespielt wurde und viele Fans, von denen einige auch im Aufnahmestudio dabei waren, ihre Schals in die Höhe hielten und mitsangen, musste ich schnell im Kabineneingang verschwinden, sonst hätte ich losgeheult. Diese Ehrung in dem traditionsreichen Stadion, in dem ich schon als Junge in der Südkurve stand, werde ich mein Leben lang nicht vergessen.

    Schöne Ereignisse waren auch diverse Klassenerhalte, vor allem die Freundschaften, aber auch, dass sich ein älterer schwedischer Fußballfan, den ich bei einem Spiel in Göteborg (unserem UEFA-Cup-Kontrahenten) kennenlernte, sich noch genau an das Spiel gegen Stahl im Ullevi erinnerte und mit dem ich dann eine ganze Halbzeit lang redete.

    Schlimme Ereignisse waren der Tod einige geliebter und geachteter Menschen, diverse Ausschreitungen, die ich als halbes Kind nicht verkraftet hatte sowie der Klau meiner Fahne in Riesa. Mit viel Liebe angefertigt wurde sie von einigen Assis bei einem Gastspiel unserer Elf dort hochgezogen. Ein schmerzhafter Verlust. Auf Diebstahl reagiere ich auch heute noch äußerst allergisch...

    Was macht Dich zu einem echten Fußball-Fan, wie siehst Du andere Fans?

    Ach weißt Du, echt, unecht... Keine Ahnung, ob ich ganz echt bin. Ich selbst weiß, wer ich bin, wie mich andere sehen, ist mir ziemlich egal. Und wie ich andere Fans sehe? Von mir aus soll jeder sein Ding machen, solange er mir nicht direkt auf die Spermienproduzenten geht. Stadien sind in der Regel groß genug, dass jeder seinen Platz finden kann...

    In den letzten Jahren kam im Fußball immer wieder das Thema ‚Gewalt und Rassismus’ auf. Wie sind Deine Erfahrungen zum Thema und wie siehst Du die Probleme zwischen Fans und Ordnungskräften?

    Bei uns ist es so, dass die Ordner mitunter pöbeln und die Pöbler mitunter ordnen... Wir lieben alle unseren Verein und selten gibt es Probleme. Das kann sich dann schon mal ändern, wenn Bullen auftauchen... Gewalt und Rassismus sind ein viel zu komplexes Thema, um es hier in einigen Sätzen abzuhandeln. Grundsätzlich bin ich Pazifist und habe weitgehend humanistische Ansätze in meiner Weltanschauung. Gewalt würde ich nur dann einsetzen, wenn mir nahe stehende Menschen bedroht oder schwer geschädigt würden. Grundsätzlich ist das Stadion ein Spiegelbild der Gesellschaft.

    Fußball ist Leidenschaft, Leben in allen Facetten. Dazu gehört auch, dass man seinem Nachbarn vor die Tür scheißt oder seinen Kontrahenten beleidigt. So sind wir Menschen nun mal... Rassismus wird auf der ganzen Welt ausgelebt, ebenso wie Gewalt. Ich weiß nicht, warum es oft als explizites Fußballphänomen dargestellt wird. Was ist denn der Unterschied, zwischen dem Soldaten im Irak, dem prügelwütigen Bullen oder dem Hooligan? Schau Dir von allen Dreien die Biographie an, dann weißt Du, wo es herkommt. Ich habe einfach zu viel erlebt, um die Welt in Gut und Böse zu unterteilen. Es wird uns doch kaum gelehrt, wie wir mit unseren Aggressionen konstruktiv umgehen können. Dazu kommt diese beschissene Gesellschaftsordnung, in der wir ziemlich zweifelhaften Werten hinterherhetzen und unter einem enormen Druck stehen. Ob es der Hartzi ist, der sich im Amt dämlich kommen lassen muss, oder der Top-Manager, der Aktionäre ‚sattkriegen’ muss. Schau Dir an, wie wir miteinander umgehen, dann wundert Dich doch nichts mehr. Und irgendwo entlädt sich halt alles und es werden Opfer gesucht. Das Stadion ist ein idealer Ort, scheinbar. Es spiegelt uns, nicht mehr oder weniger. Ich hatte viel mit Gewalt zu tun, auch mit Rassismus. Ich habe mich nie wohl dabei gefühlt, auch wenn es für einen Augenblick befreiend war. Letztendlich ist und bleibt es Scheiße.

    Ein weiteres aktuelles Thema ist die kommerzielle Entwicklung des Sports, wie stehst Du dazu?

    Gehört fast zum vorherigen Thema. Wieder geht es um Werteverfall. Ich stehe dem Ganzen absolut kritisch gegenüber. Es ist doch nicht nur im Fußball so, sondern in der ganzen Gesellschaft. Es ist okay, wenn Menschen mit Höchstleistungen auch entsprechende Bezahlungen bekommen, doch sollte eine gesunde Obergrenze nicht überschritten werden. Sicherlich kann man darüber philosophieren, wo diese liegen mag. Das eigentliche Problem ist, dass an der Basis zu wenig bleibt. Es gab immer Arm und Reich, aber ich sehe die Mitte den Bach lang runter gehen. Und da wird es gefährlich, denke ich. Einige Wenige reißen sich den Markt unter den Nagel. Fressen und gefressen werden, solange die Angst existiert, werden auch Millionen Dollar nicht als Ruhepolster reichen...

    Neid, Missgunst und Gier gehen weit über den sportlichen Charakter hinaus. Ich sehe es ähnlich wie die Entwicklung in der Musikindustrie. Ich denke, jeder könnte seinen Platz finden und es ist genug für alle da. Trotzdem leben wir, als gäbe es kein Morgen... Ich habe mir schon lange kein Bundesliga-Spiel mehr angesehen, registriere Ergebnisse nur am Rande. Warum auch soll ich mich darüber freuen, wenn sich eine Mannschaft für einen Wettbewerb qualifiziert, in dem ich den albanischen Meister nicht sehen kann, den dafür aber der viertplazierte englische Verein gewinnen kann? Mich wundert wirklich, dass in England und Spanien noch Leute zum Fußball gehen. Solange die Stadien voll sind, wird sich nichts ändern und ich frage mich, ob ich der einzige bin, der diese Preise und Machenschaften für völlig überzogen hält...

    Bevor ich mir allerdings über die CC-Bank eine Dauerkarte finanzieren lasse bin ich froh, dass mein Verein in den unteren Regionen spielt...

    Bist Du von anderen Fangruppen beeindruckt – wenn ja, von welchen und warum?

    Beeindruckt? Nein...

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    Geschrieben von:  Stephan R.T.

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