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  • 28. Oktober 2006

     

    Stahl Brandenburg: Nicht in Worte zu fassen


    Von:  Systema

    Es gibt Erlebnisse im Leben, die nicht in Worte zu fassen sind. Dass der Fußball viele schöne Geschichten schreibt, ist bekannt. Bei jedem Verein gibt es zahlreiche Anekdoten, die originell und einzigartig sind, und den Club zu etwas Besonderem machen. Personen, die seit Urzeiten dabei sind und sich seit Ewigkeiten ins Vereinsleben einbringen. Originelle, manchmal etwas „kaputte“ Fans, die nur für den Fußball leben, weil sie ansonsten nichts im Leben haben. Spieler, die das Tor nie treffen, aber immer „Gras fressen“ und deshalb von den Fans verehrt werden. Und es gibt Spiele, die zur Legende werden, an die man sich noch Jahre später mit Freudentränen in den Augen erinnert und noch seinen Kindern davon erzählt. Die Zuschauer und Spieler des FC Stahl Brandenburg erlebten am gestrigen Freitagabend so ein Spiel. Das 4:1 gegen Fortuna Babelsberg war am Ende der höchste Punktspielsieg seit über vier Jahren. Doch es war viel mehr. Unter der besonderen Flutlicht-Atmosphäre, die 370 Zuschauer anlockte, entwickelte sich, angetrieben von fantastischer Stimmung, ein hochemotionales Spiel. Es wurde ein rauschendes Fußballfest, welches es in dieser Intensität – trotz hochumkämpfter Ortsderbies – seit Jahren in dieser Stadt nicht mehr gegeben hat.

    Nachdem die Akteure im Schein von zahlreichen bengalischen Feuern und Wunderkerzen das Spielfeld betreten hatten und Stahl von Beginn an die aktivere Mannschaft war, neutralisierten sich beide Teams in den ersten Minuten im Mittelfeld. Die erste Chance hatten die Fortunen. Nach einem Pass aus dem Mittelfeld versuchte es Doberitz aus zwanzig Metern, schoss aber knapp daneben. Im Gegenzug wurde eine schöne Flanke von Fabricio aus dem Strafraum geschlagen, nach zwölf Minuten Ähnliches bei Raycev. Erstmals gefährlich wurde es nach 14 Minuten. Nachtigall schoss einen Freistoß und Kahl hatte sich schon freigelaufen, sein Flugkopfball verfehlte das Babelsberger Tor aber deutlich. Eine Minute später setzte sich Raycev im Strafraum schön durch und wurde vom Potsdamer Keeper touchiert, so dass die Zuschauer einen Elfmeter forderten. Schiedsrichter Laue sah die Situation aber nicht als strafstoßwürdig an und entschied auf Eckball – und lag damit richtig. Auch ansonsten pfiff Laue längst nicht jeden Zweikampf ab und ließ in mancher Situation weiterspielen, wo andere Referees abgepfiffen hätten. Durch seine großzügige, aber dennoch konsequente Spielleitung wurde er dem Charakter der Partie über 90 Minuten voll gerecht. Raycev per Kopf sorgte auch nach dem Eckball für Gefahr. Nach 17 Minuten dann die erste schöne Szene für Robert Schumacher, der nach Fabricio-Zuspiel aber einen Moment zu lang zögerte und somit nicht richtig abschließen konnte. In der 21. Minute dann mal wieder die Babelsberger. Nach toller Kombination, von der Stahl-Abwehr nicht entscheidend gestört, hielt Krüger den Schuss von der Strafraumgrenze im Nachfassen. Eine zunächst harmlos aussehende Situation entwickelte sich zur nächsten klaren Möglichkeit für Stahl. Fabricio hatte sich durchgemogelt und stand plötzlich auf halbrechts drei Meter vor dem Tor. Sein Schuss jedoch war zu schwach. Nach 28 Minuten dann Schumacher auf Raycev. Dieser hätte allerdings besser daran getan, sofort zu schießen, anstatt noch einen Gegner umspielen zu wollen. Direkt im Anschluss versuchte sich Wilhelm im Nachschuss, diesmal noch ohne Erfolg. Wenig später „vernascht“ Fabricio seinen Gegenspieler und flankte zu Kahl, der nur Zentimeter über das Babelsberger Gehäuse köpfte – die bisher klarste Chance der Partie. Stahl war in dieser Spielphase überlegen, die herausragende Stimmung auf der Tribüne trug außerdem zum Spielverlauf bei. Was noch fehlte, war ein Tor. Dieses fiel fast für die Potsdamer, doch den „Flatterball“ hielt Krüger im Nachfassen. Dann in der 33. Minute war es soweit. Erneut versuchte sich Wilhelm im Nachschuss. Dieser ging überraschenderweise durch die gesamte Fortuna-Abwehr hindurch und wurde noch einmal abgefälscht – es stand 1:0, und die Stimmung im Stadion näherte sich dem Siedepunkt. Nachdem die Babelsberger eine weitere Chance hatte – der durch das Flutlicht manchmal geblendete Krüger hielt wieder im Nachfassen – hätte Stahl fast auf 2:0 erhöht. Raycev überspielte die gesamte Abwehr und hatte den Torwart schon überwunden, als dieser reflexartig seinen Arm nach oben riss und die Chance vereitelte. Nach einer weiteren Gelegenheit für Stahl fiel dann überraschend das 1:1. Nach einer Ecke der Fortunen konnte Bauer den Ball nicht herausschlagen, auch Wilhelm und Schumacher schafften dies nicht. Doberitz sah aus zwölf Metern die Lücke und schoss ins linke untere Eck ein. Zwar war Stahl bis dahin die bessere Mannschaft und hatte deutlich höhere Spielanteile als der Gast. Doch war dieser jederzeit gefährlich und seine Konter saßen wie Nadelstiche. Die Taktik der Babelsberger schien aufzugehen, und somit war der Zwischenstand trotz der klaren optischen Feldüberlegenheit des FC Stahl nicht mal unverdient. Noch vor der Pause versuchte Stahl, wieder in Führung zu gehen. Zunächst behinderten sich Fabricio und Kahl gegenseitig beim Kopfball, der einen halben Meter über die Latte ging. Und unmittelbar vor dem Halbzeitpfiff zeigte Schumacher eine tolle Einzelleistung, traf aber aus 13 Metern auch nicht.

    Nach dem Wiederanpfiff waren es die Potsdamer, die das Spiel an sich rissen. Zehn Minuten lang waren sie klar feldüberlegen und brachten die Stahl-Abwehr ein ums andere mal in Verlegenheit. Zwei klare Chancen wurden nicht genutzt. Genau in dieser stärksten Phase des Babelsberger Spiels fiel das 2:1 für Stahl. Nach tollem Kahl-Zuspiel, schon in der Vorwoche in Rüdersdorf hatte er mehrmals hervorragend aufgelegt, traf der in der Mitte freistehende Fabricio zum 2:1. Der Jubel kannte keine Grenzen, auch beim Torschützen nicht. Er zog sein Trikot aus und mimte den Torero – und sah dafür Gelb. Diese vor Jahren eingeführte schwachsinnige Regelung muss dringend überdacht werden. Grad in diesen Spielklassen, wo man solche Emotionen nicht allzu oft zu Gesicht bekommt, sollte man die Spieler diese doch ein paar Sekunden ausleben lassen. Selbst Schiedsrichter Laue tat die Verwarnung anschließend Leid, doch er hatte keine andere Wahl. Durch das 2:1 schien es, als hätte Stahl den Widerstand der Potsdamer gebrochen. Die Brandenburger waren es nun, die die Schlagzahl nochmals erhöhten und dem Tabellenzehnten damit den Schneid abkauften. Der technisch und in Sachen Zweikämpfen lange gleichwertige Gegner konnte das hohe Tempo nicht mehr mitgehen und so war es eine Frage der Zeit, bis es zu weiteren Treffern kommen würde. Das 3:1 fiel dann in der 72. Minute. Nach tollem Zuspiel von links stand Raycev am rechten Torraumeck frei und überlupfte den Schlussmann aus Nahdistanz. Längst waren alle Dämme gebrochen, längst das Publikum in Extase – und längst hüpften auch die Betreuer und Auswechselspieler am Rand wie von der Tarantel gestochen auf und ab. Das Spiel war entschieden, und auch wenn die Babelsberger noch zu ein paar Entlastungsangriffen kamen, spielte sich Stahl förmlich in einen Rausch. Schumacher auf links passte zu Tarnow, der nur Sekunden nach seiner Einwechslung abzog und ans Außennetz traf. Zwei Minuten später dann das 4:1. Tarnow setzte eine Ecke genau auf den Kopf von Robert Schumacher, welcher aus sechs Metern einnickte. Stahl wollte noch mehr. Babelsberg dagegen, mittlerweile stehend k.o., sehnte den Schlusspfiff herbei. Vorher noch ein Raycev-Versuch aus 55 Metern, doch dem Schuss ging in der Luft die Kraft aus. Direkt nach einer weiteren Schumacher-Chance hatte Laue dann ein Einsehen mit den tapfer kämpfenden Fortunen und pfiff ab.

    Unbeschreibliche Szenen spielten sich dann auch nach dem Schlusspfiff ab. Nach lautstarkem, rhythmischen Klatschen gab es eine Premiere, eine gemeinsame „Uffta“ von Mannschaft und Fans. Anschließend folgten noch eine La Ola, ein „Diver“ und weitere minutenlange Standing Ovations. Es hat eigentlich nur die Einspielung des Liedes „Nur nach Hause geh’n wir nicht“ gefehlt – denn nach Hause wollte nach diesem Spiel so schnell kaum ein Zuschauer. Ungläubig kopfschüttelnd und mit kindlichem Strahlen oder sogar Freudentränen in den Augen, spielten sich zahlreiche Verbrüderungsszenen auf dem Rasen ab, und die anschließende Feier dauerte noch lange an. Die Mannschaft hat nun vor dem schweren Spiel in Velten ein paar Tage frei. Die hat sie sich verdient, und die wird auch manch Spieler brauchen, um zu verarbeiten, was am Freitagabend passiert ist.

    Der FC Stahl Brandenburg spielte mit: Krüger – Bauer, Kräuter, Schimpf, Wilhelm, – Schumacher (G), Nachtigall (ab 81. Schulz), Leimbach (ab 46. Tiller), Raycev - Kahl, Fabricio (ab 81. Tarnow) (G)

    Zuschauer: 370, darunter vier Babelsberger Fans
    Tore: 1:0 Wilhelm (33.), 1:1 Doberitz (40.), 2:1 Fabricio (58.), 3:1 Raycev (72.), 4:1 Schumacher (85.)

    Jörg Pochert

    Geschrieben von:  Systema

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