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  • SG Dynamo Dresden, 17. Januar 2012

     

    Fangemeinschaft Dynamo zum Fankongress Berlin 2012


    Von:  Stephan R.T.

    Am vergangenen Wochenende fand der bisher größte von Fans selbst organisierte Fankongress in Deutschland statt. Etwa 500 Fans von Vereinen der ersten bis vierten Liga waren nach Berlin gekommen, um in themenbezogenen Workshops, Podiumsdiskussionen und unzähligen Gesprächen abseits vom offiziellen Programm über das zu diskutieren, was Fußballfans unter den Nägeln brennt. Selbstverständlich gehörten auch Vertreter der Fangemeinschaft Dynamo zu den Teilnehmern.

    Nach der Begrüßung standen am Sonnabend zwei ‚Runden‘ auf dem Programm. Jeweils vormittags und nachmittags ging es in mehreren Arbeitsgruppen um verschiedene Themen. Die anwesenden Fangemeinschaftler entschieden sich am Vormittag für die Workshops ‚Engagement von Fans für den Erhalt der Vereinsidentität‘ und ‚Möglichkeiten der Mitsprache von Fans in ihren Vereinen‘.

    In der ersten Veranstaltung berichteten drei Fans vom VfB Stuttgart, dem 1. FC Nürnberg und vom 1. FC Union Berlin darüber, wie wichtig Tradition und Alleinstellungsmerkmale für Identifikation und Gemeinschaftsgefühl sind und wie sie in ihren Vereinen versuchen, dies durch aktive Arbeit zu erhalten und zu stärken. Ein Mitglied des ‚Commando Cannstatt‘ berichtete über die ganz besondere Bedeutung des roten Brustringes auf den Stuttgarter Trikots und darüber, dass der Verein in der einzigen Saison, in der man ohne diesen aufgelaufenen war, prompt abgestiegen ist. Der Vertreter vom Unioner ‚Wuhlesyndikat‘ erzählte vom Stadionbau und machte dabei deutlich, wie wichtig dieser gemeinsame Kraftakt auch für das Verhältnis der verschiedenen Fangruppen untereinander gewesen ist. Sehr interessant auch, dass die Unioner Vereinsführung der Identifikation von Fans mit ihrem Verein eine existenzielle Bedeutung beimisst und Fanengagement deshalb außergewöhnlich unterstützt und dass es nach Meinung des Köpenickers für den großen Erfolg der zahlreichen Fanaktivitäten sehr wichtig war, dass es in den letzten Jahren eine große personelle Kontinuität in der Vereinsführung gab. Zum Abschluss berichtete ein Nürnberger Ultra über die Initiative ‚Max Morlock Stadion‘, bei der Fans versuchen, den Verkauf der Namensrechte an ihrem Stadion zu beenden. Hier war für uns besonders hörenswert, wie und mit welchen Aktivitäten man dort versucht, ein so komplexes und daher sehr langfristiges Thema am Leben zu erhalten und wie man sich trotz zähem Fortgang und vielen im Weg liegenden Steinen selbst motiviert. Dinge, die also durchaus auf unseren Kampf gegen die Sektorentrennung übertragbar sind.

    Beim ‚Mitbestimmungs‘-Workshop war Martin Kind, seines Zeichens Präsident von Hannover 96 und vehementer Verfechter einer Aufhebung der ‚50+1‘-Regel eingeladen. Er referierte dort über die rechtlichen Rahmenbedingungen und versuchte, die Angst der Fans vor den sogenannten ‚Heuschrecken‘ zu nehmen. Vertreter vom ‚Hamburger Supporters Club‘ und ‚Unsere Kurve‘ verdeutlichten an Beispielen die trotz aller Beteuerungen von Herrn Kind vorhandenen Gefahren und zeigten auf, dass auch Mitgliedervereine mit GmbHs und AGs mithalten können. Immer wieder wurde bei diesem Workshop deutlich, wie wichtig es ist, dass Fans sich ihre eigene Wertigkeit für den Fußball und für ihren Verein immer wieder bewusst machen und daraus dann die entsprechenden Konsequenzen ziehen, zum Beispiel in dem sie Mitglied ihres Vereins werden oder sich in Fanvertretungen organisieren und engagieren. „Die Fans sind die größte Konstante eines Vereins und damit auch ihr größtes Kapital.“ Dieser Satz unseres Fangemeinschafts-Mitgliedes Robert Pohl, der als Vertreter von ‚Unsere Kurve‘ bei diesem Workshop als Referent agierte, kann sehr gut als Fazit dieser Veranstaltung stehen.

    Nach dem Mittagessen waren die Fangemeinschaftler dann Teilnehmer einer Diskussion zum Thema ‚Funktioniert die Selbstregulierung von Fan-Gewalt? Wenn ja, wie?‘. Auch wenn am Ende aufgrund der auch in dieser Diskussion zu Tage tretenden großen Unterschiedlichkeiten der einzelnen Fanszenen erwartungsgemäß keine konkreten Ergebnisse erzielt wurden, darf schon allein die Tatsache, dass erstmals Vertreter – auch die extrem konkurrierender – Fangruppen sehr offen und respektvoll zu diesem Thema miteinander ins Gespräch kamen, als riesiger Erfolg bezeichnet werden.

    Zum Abschluss des Veranstaltungstages gab es eine große Podiumsdiskussion, die unter dem Titel ‚Wir waren beim Fußball und haben es überlebt‘ stand. Auf dem Podium saßen Vertreter aus ganz verschiedenen Bereichen – Ultras, Fanprojektler, Anwälte, Journalisten usw. – und versuchten, die in den letzten Wochen und Monaten entfachte Hysterie rund um das Thema Fußballfans auf ihre tatsächliche Substanz zu untersuchen. Ein Vertreter des Fanprojektes Jena zum Beispiel setzte die Zahlen der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) über Straftaten und Verletzte beim Fußball, welche maßgeblich mit zum Anheizen der Medien- und Verbands-Kampagne benutzt wurden, einmal in Relationen, etwa zu den Gesamtzuschauerzahlen oder zu entsprechenden Statistiken bei anderen vergleichbaren Großveranstaltungen. Ein Mitglied der Ultras Hannover berichtete davon, wie vor kurzem eine völlig überforderte Polizei 36 Verletzte durch den Einsatz von Pfefferspray ‚produzierte‘, als sie ohne Grund den Hannoveraner Block stürmte, um – erfolglos – nach Pyrotechnik zu suchen. 36 Verletzte, die nun in einer Statistik auftauchen, die als Beweis für die zugenommene Gefährlichkeit von Fußballfans benutzt wird. Eine Journalistin beleuchtete kritisch die Rolle der Medien und forderte Fußballfans dazu auf, sich trotz aller teilweise berechtigten Vorbehalte und schlechter Erfahrungen auch weiterhin und verstärkt der Medien zu bedienen, um ihre Sichtweisen öffentlich und Ansprüche geltend zu machen. Der anwesende Fanbeauftragte der DFL forderte von den Fanszenen Selbstreflektion, der Vertreter der Ultras Hannover wies darauf hin, dass diese natürlich stattfinde, allerdings nicht öffentlich. Insgesamt war es eine durchaus interessante Diskussion, welcher bei manchen Punkten allerdings der Gegenpart fehlte. Dies lag schlichtweg daran, dass der eingeladene Polizeirektor der ZIS kurzfristig seine Teilnahme abgesagt hatte. Eine beschämende und zugleich bezeichnende Tatsache, die am Abend noch dadurch verstärkt wurde, dass die Polizei ohne jeden Grund den Veranstaltungsort, das Kino ‚Kosmos‘ durchsuchte und damit das Vertrauen von Organisatoren und Teilnehmern missbrauchte.

    Am Sonntag wurde der Fankongress dann noch international. In mehreren Workshops wurden – mit Gästen aus den jeweiligen Ländern und zum Teil in englischer Sprache – die Verhältnisse in England, Spanien, Italien oder Norwegen beleuchtet. Egal, ob es um Ultrakultur in Italien, von Fans gegründete Vereine in England oder um legalisierte Pyrotechnik in Norwegen ging, kaum ein Teilnehmer dürfte ohne neue Erkenntnisse die Kinosäle verlassen haben. Unsere Teilnehmer jedenfalls taten es nicht.

    Nicht unerwartet war ein zentrales Thema des Kongresses, eines das auch immer wieder in Diskussionen zu eigentlich anderen Themen auftauchte, das Thema ‚Pyrotechnik‘. Hier gibt es leider zu berichten, dass der nach Berlin gekommene DFB-Sicherheitsbeauftragte Herr Große Lefert weiteren Gesprächen eine klare Absage erteilte. „Wir sind bei allem dialogbereit, nur nicht beim Thema Pyrotechnik“, so die eindeutige Botschaft. Ob der vom Fankongress ausgehende klare Hinweis der Fans, dass diese sture Position die aktuell für alle unbefriedigende Situation in den Stadien nicht lösen wird und den ‚Hardlinern‘ in den Kurven neuen Rückenwind gibt, beim Verband angekommen ist, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Es bleibt jedenfalls dringend zu hoffen, dass beim DFB doch noch Vernunft über Ideologie siegt. Was alles geht, wenn man sich mit Pragmatismus und Respekt begegnet, zeigte im Übrigen eindrucksvoll die Veranstaltung zum Thema ‚Pyro in Norwegen‘. Ein Rosenborger Fan erläuterte dort, wie es Fans, Vereinen, Verband und Behörden gemeinsam gelungen ist, ein Modell zu entwickeln, dass heute in norwegischen Stadien Pyrotechnik sicher und legal ermöglicht. Besonders interessant war dabei, dass sich das norwegische Modell kaum von dem unterscheidet, was bis zuletzt Grundlage der Gespräche zwischen DFB und der Initiative ‚Pyrotechnik legalisieren‘ war. Erstaunlich und wegweisend zugleich ist auch, dass die Verhandlungen dort nahezu ohne Einflussnahme von Politik und Medien stattfanden und dass die Fans bei ihrer Suche nach einem Kompromiss von ihren Vereinen unterstützt wurden.

    Insgesamt zieht die Fangemeinschaft Dynamo ein absolut positives Fazit aus dem Fankongresses 2012. Auch wenn es erwartungsgemäß natürlich keine bahnbrechenden Ergebnisse bei den teilweise sehr komplexen Themen zu verzeichnen gibt, ist er ohne jeden Zweifel als großer Erfolg für alle Fußballfans zu bewerten. Nicht nur eine Organisation und Durchführung, deren Professionalität manch Eingeladenen nach eigener Aussage regelrecht überraschte, sondern auch Fans, die sich in einer wohl noch nie dagewesenen Ernsthaftigkeit und Seriosität, sachlich, fundiert und lösungsorientiert um ihre ureigensten Anliegen bemühen, kann kein Verein, kein Verband, keine Behörde und kein Politiker mehr ignorieren. Denjenigen, die dies dennoch weiterhin tun, sollte spätestens seit diesem Wochenende klar sein, dass sie für alle daraus folgenden Konsequenzen ganz klar eine Mitverantwortung tragen. „Die Forderungen, Vorschläge und Ideen von uns Fußballfans liegen auf dem Tisch. Wir erwarten nun nicht mehr nur Dialog, sondern auch endlich Taten“, sagte ein Fan ganz am Ende der Abschlussveranstaltung. Es hätte es kein passenderes Schlusswort geben können.

    Fangemeinschaft Dynamo

    Geschrieben von:  Stephan R.T.

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